Donnerstag, 12. November 2020

Medienkompetenz

Ein Top-Journalist
erklärt mir die Welt
kompakt in zwei Spalten
und lässt keinen Zweifel zu
 
Ich frage mich dann,
ob leise Zweifel nicht
als Erklärung geeigneter wären

Ich zweifle an mir
und lese zwei Spalten
in einer anderen Zeitung

Wie zur Bestätigung streut die
Autorin begründete Zweifel
und ich finde meine
Erleichterung

Dienstag, 10. November 2020

Dünnhäutig - ein Essay

Der Sinn des Lebens besteht darin, so zu leben, dass einen das Leben freut. Oder kurz: Der Sinn des Lebens ist die Lebensfreude. Aber freue ich mich über die Tatsache, dass ich am Leben bin?

Das Leben ist nicht nur schön. Selbst die Liebe kann weh tun. Wer dünnhäutig ist, leidet besonders unter den Schattenseiten. Der dünnhäutige Mensch stellt sich oft in Frage, seine Rechnungen gehen selten auf, er fühlt sich seinen Eindrücken, Gedanken und Gefühlen meist ausgeliefert, er hängt ein Leben lang in der Luft. Wenn es am schlimmsten ist, kann er nichts mehr wollen, kann nur resignieren und kapitulieren, kann sich nur noch dem freien Fall überlassen. Wie soll er da Freude empfinden?

»Herr, ich bitte dich, hilf mir«, seufzt der Dünnhäutige in seiner Not. Und Gott antwortet: »Was möchtest du konkret?« »Ich suche irgendetwas, an dem ich mich festhalten kann«, gibt der Dünnhäutige zurück. »Dein Halt ist der freie Fall«, sagt Gott trocken. »Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand«, sagt der Dünnhäutige zu sich selbst. Und dann: »Herr, was soll ich tun?« Gott aber antwortet dem Dünnhäutigen: »Du sollst in dich gehen und dich selbst erkennen. Du sollst gut darin werden, dich selbst zu kennen. Du sollst dich gut spüren und in dir ruhen. Kümmere dich nicht um deine Außenwirkung. Kümmere dich um dein Innenleben und dein Wohlbefinden. Kümmere dich um dein Tageswerk und sei damit zufrieden. Deine Arbeit sei ein Geduldspiel. Lass dich von niemandem überfordern. Und überfordere dich nicht selbst. Du machst deine Sache gut genug.«

Wenn ich das Gefühl habe, dass ich meine Sache gut mache, dann kann ich mich auch freuen. Gott sagt mir, was meine Aufgabe ist. Gott ist gütig, weise, wohlwollend, verstehend, verzeihend, hilfsbereit – er ist all das, was ich so dringend brauche und was mein leiblicher Vater nie gewesen ist. Ich muss mich über Gott nicht ärgern. Und wenn die Welt zugrunde geht, so liegt das daran, dass manche Menschen ihren Frieden mit sich selbst und Gott nicht finden.