Sonntag, 30. Dezember 2012

Von Nöten, Notizen und Notaten

Meine Gedanken kreisen seit Tagen um die Frage: "Wie komme ich zu einem Text?"
Erst gestern kam mir die Idee, eine bestimmte Methode anzuwenden, eine wilde Kombination aus Lesezeit, Notizen, Notaten, Skizzen und dergleichen - doch heute stellt sich heraus, dass es mir an einem überzeugenden Thema mangelt und dass in diesem Fall die beste Methode nichts nützt.
Natürlich könnte ich oben gestellte Frage auch umdrehen: "Wie kommt ein Text zu mir?" Doch Fragen der Art "Wie kommt die schöne Geliebte zu mir?" führen mich regelmäßig in ein mentales Fiasko.

Was den gesuchten Text betrifft, könnte ich auch fragen: "Warum treffen wir uns nicht in der Mitte?"

Ich würde dann schreibend einen Text suchen, der genau dort auftaucht, wo (noch) nichts geschrieben steht. Ich würde Satz für Satz meine Gedanken entwickeln, ohne zu wissen, wohin mich das letztlich führt. Ich würde den Mut aufbringen, diese Sätze zu posten. Ich würde befriedigt nach Hause gehen. Ich würde etwas geleistet haben.
Warum mache ich das nicht alles genau so?
Weil der Leser und die Leserin unweigerlich denken würden: "Das hätte man auch besser machen können."
Mein bescheidener Einwand würde dann lauten: "Ich blättere in meinen Notizen und Notaten und finde nichts Besseres."

Samstag, 29. Dezember 2012

Der stille Prophet

Unter uns lebt ein Mann, der entdeckt hat, dass Wirklichkeit wird, was er vorausahnt, vorausgesetzt, er fixiert seine Prophezeiungen schriftlich und behält sie für sich. Andere Propheten hingegen schnattern lautstark durcheinander, um zu verkünden, was die Zukunft gebracht haben wird, liegen aber regelmäßig falsch. Unser Mann entscheidet sich deshalb dafür, ein stiller Prophet zu bleiben.

In der Silvesternacht von 2012 auf 2013 notiert er in sein Büchlein der Prophezeiungen -
Es wird im Jahr 2xx3 zum Zusammenbruch des Euro kommen, zermürbt vom exponentiellen Wachstum der Geldmenge und der damit verknüpften Staatsverschuldung. Es werden neue Währungen entstehen, gekoppelt mit massiver Inflation. Die Berufsarmeen werden privatisiert ...

Gott sei Dank hat unser stiller Prophet nicht aufgepasst. Ich habe seine Aufzeichnungen rechtzeitig entdeckt. Sie werden hier publiziert, damit alles in gewohnter Weise weiterlaufen kann. Wie der stille Prophet selbst schreibt -
unter dem Motto "The Show must go on" werden alle Gläubiger ihrer Zinsgewinne beraubt, die Staaten entschuldet und die Armeen entwaffnet ...

Der stille Prophet ist in Wirklichkeit ein naiver Optimist und - wie er selbts schreibt -
alles wird gut.

Donnerstag, 27. Dezember 2012

Sechzehnuhrfünfundvierzig

Ich sitze in der Nationalbibliothek und tue so, als würde ich arbeiten. In Wirklichkeit bekritzel ich Zettel und durchblättere Bücher. Nichts davon will mich fesseln. Ich leide an den Folgen eines Burnouts, leide an einer Schreibblockade, leide an mir, suche einen Ausweg, kann nur über meine Befindlichkeit und für mich schreiben. Alles andere ist bedeutungslos. Heute gehe ich  - so Gott will - noch in einen Bibelkreis. Meine Gedanken werden um die Frage kreisen, warum ich an mir leide.

Leiden
ich leide an mir / ich leide für mich / ich leide zum Ende hin / das Ende bin ich
das Ende bin ich / ich bin der Anfang / ich leide für mich / mehr als ein Leben lang
ich bin der Anfang / und komme zum Schluss / ich leide dafür / dass das aufhören muss

Ich sitze in der Nationalbibliothek und arbeite an der Lockerung einer Schreibblockade. Inzwischen ist es Siebzehnuhrfünfundvierzig, doch an den Titel des Werkes fühle ich mich gebunden.

Freitag, 21. Dezember 2012

Weihnachtsgeschichte 2012

Es war am Weihnachtstag im Jahre Schnee, als ich, von Gott und der Welt verlassen, durch einen finsteren Wald stapfte, um mein gesundes Selbst zu finden. Ich schaute unter jeden Ast, der am Wegesrand lag, hinter jeden Ameisenhaufen und in alle Himmelsrichtungen, aber mein gesundes Selbst fand ich nicht. Der Weihnachtsabend rückte näher, der Wald wurde immer finsterer und dichter und mein gesundes Selbst blieb hoffnungslos verschollen.

Als ich die Suche abbrechen wollte, um mich endgültig in mein Schneckenhaus zurückzuziehen, begegnete ich tief im Herzen meinem wunden Punkt. Der wunde Punkt sah mich an und sagte: »Du liebst mich nicht.« Ich aber fragte ihn: »Wer bist denn du?« »Ich bin dein wunder Punkt«, sagte der wunde Punkt. »Und was willst du von mir?« fragte ich. »Ich will dir bei deiner Suche helfen.« »Du willst mir helfen, mein gesundes Selbst zu finden?« fragte ich ungläubig. »Ja«, sagte der wunde Punkt. »Und wie willst du mir helfen?« fragte ich ihn. Der wunde Punkt aber sah mich nur an und sagte: »Du liebst mich nicht.« Da begann ich über die Beziehung zu meinem wunden Punkt nachzudenken. Er hatte recht. Ich liebte ihn nicht. Aber was sollte ich tun? Ich konnte mich doch nicht zwingen, ihn zu lieben!

Als dann der Weihnachtsabend anbrach, saß ich mit meinem wunden Punkt zu Hause, von Gott und der Welt verlassen, und dachte gar nicht mehr an mein gesundes Selbst. Da lächelte der wunde Punkt und sagte: »Heute ist Weihnachten. Ich will dir ein Geschenk machen.« Ich schaute ihn ungläubig an. »Was willst du mir denn schenken?« fragte ich ihn. »Ich schenke dir ...«, begann der wunde Punkt, »ich schenke dir einen Spiegel, in dem du gleichzeitig mich und dein gesundes Selbst sehen kannst.« Da wurde ich hellhörig. Ich ließ mir den Spiegel zeigen, doch konnte ich darin nur den wunden Punkt, nicht aber mein gesundes Selbst erkennen. »Da ist kein gesundes Selbst!« rief ich, »da bist nur du, der wunde Punkt.« »Aber sieh doch genau hin«, sagte der wunde Punkt und ich sah genauer hin. Ich schaute mir den wunden Punkt ganz genau an, lange sah ich ihn an, und ich sah, dass er leicht zitterte. »Du zitterst ja«, sagte ich. »Richtig«, sagte der wunde Punkt, »ich zittere. Ich zittere aus Angst vor dir, weil du mich nicht liebst.«

Da tat mir der wunde Punkt plötzlich leid und ich wollte mich bei ihm entschuldigen. Doch ehe ich die Entschuldigung aussprechen konnte, glitt mir der Spiegel aus der Hand, fiel zu Boden und zerbrauch. »Um Gottes Willen« rief ich aus, »das wollte ich nicht!« Der wunde Punkt lächelte wieder, sagte aber nichts mehr. Den Rest des Abends saß ich ohne Spiegel und ohne gesundes Selbst da, von Gott und der Welt verlassen, aber ich hatte einen neuen Freund.