Montag, 20. Dezember 2021

Wohin ich mich entwickeln will

Ich weiß nicht, was ich in fünf oder zehn Jahren brauche, um dann mit mir und meinem Leben zufrieden zu sein. Mir geht es um die Zufriedenheit heute, um die Achtsamkeit, die Geduld und die Dankbarkeit in diesem Moment. Es gibt Dinge, die ich tun will, und solche, die ich nicht tun will. Wenn ich heute die Dinge tue, die ich tun will, dann bin ich in fünf oder zehn Jahren ganz von selbst dort, wo ich dann sein will. Ich muss jetzt nicht wissen, wo das sein wird. Ich will keine Angst vor dem Unbekannten haben. Ich will mein Schicksal dankbar annehmen. 
Das Erreichen eines Ziels ist nicht mein Ding – aus vielen Gründen. Doch: Wenn ich zum Beispiel Gitarre übe, brauche ich einen Grund. Wenn ich mich zu einer Arbeit motivieren will, brauche ich ein Motiv. Der Lohn für die Mühe kann die Freude sein. Die Freude liegt für mich im Schönen, im Kreativen, im Tiefsinnigen, im Zarten, im Zärtlichen, im Liebevollen. Reicht mir das Wissen, dass ich vor allem die Freude will? 
Lieber will ich das Mögliche erreichen als am Unmöglichen scheitern. Doch das Scheitern soll möglich bleiben, denn ich will auch die Leichtigkeit beim Tun. Zwar würde ich, wenn ich könnte, die Welt aus den Angeln heben wollen, doch darauf muss ich verzichten. Denn hier wäre das Scheitern gewiss. Ich will mich mit dem Unvollkommenen zufrieden geben. Ich will das Unvollkommene schön finden. Und ich will das Schöne für mich und andere. Die Freude kommt von selbst, wenn das Schöne die Angst überwindet. Das gilt heute genauso wie in fünf oder zehn Jahren.

Sonntag, 19. Dezember 2021

Gretchenfrage 14

Warum hat Jesus die Jünger nicht seinen Samen trinken lassen?

Samstag, 18. Dezember 2021

Glaubenskrise

In Mk 10,17-31 wird die Geschichte einer gescheiterten Berufung erzählt. Jesus sagt zu dem reichen Mann: Geh und verkaufe, was du hast, gib es den Armen. Gott wird es dir danken. Und dann komm und folge mir. Der Reiche aber wurde traurig über Jesu Wort und ging gekränkt weg. Offensichtlich hat Jesus den reichen Mann überfordert. Hätte es nicht genügt, wenn der Reiche 30% seines Vermögens an die Armen verteilt hätte?
Jesus fragt nicht, wie der Mann reich geworden ist. Hat der Reiche andere Menschen übervorteilt? Oder hat er durch ehrliche Arbeit Wohlstand geschaffen und andere daran teilhaben lassen? Jesus war kein Ökonom. Kann er nicht gewesen sein, weil die Ökonomik erst - sagen wir - mit dem Heiligen Thomas von Aquin beginnt. Dies gilt es im Hinterkopf zu behalten, wenn wir das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden (Lk 19,11-27) lesen. Da ist von Geld, Banken und Zinsen die Rede. Das sind ökonomische Begriffe. Aber Jesus war kein Ökonom. Er musste nicht "nachhaltig" denken, stand für ihn das Gottesreich doch unmittelbar bevor.
Ich behaupte: Der Mensch lebt nicht von Gottes Wort allein. Der Mensch hat auch materielle Bedürfnisse. Ein Künstler braucht - neben Nahrung und Kleidung - Materialien, um seine Kunst zur Ehre Gottes zu schaffen. Was soll ein Organist ohne Orgel? Was soll ein Maler ohne Farben? Was soll ein Autor ohne Schreibwerkzeug? Hatte Jesus das auf dem Schirm?
Und nun zum Geist des Kapitalismus: Hat sich die christliche Glaubensgemeinschaft je ernsthaft mit den Werken von Max Weber, Karl Marx, Karl Polanyi oder John Maynard Keynes auseinandergesetzt? Wenn ja, wo ist dann zu hören oder zu lesen, wie Christ*innen über die Herrschaft des Geldes denken? Wenn nein, was würde Jesus zu diesem Versäumnis sagen?

Freitag, 17. Dezember 2021

Warnung an die Christ*innen

Das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden (Lk 19,11-27) ist eine Warnung. Warum ist das wichtig?
Als einzige Religion des Altertums verhängte die jüdische Religion (innerhalb der eigenen Gemeinschaft) ein Zinsverbot (siehe Ex 22,24-26, Lev 25,35-37 und Deut 23,20).
Was Jesus wirklich sagen will: Wer mit einem ausbeuterischen System kooperiert, kann nicht ins Himmelreich kommen. Wer das Richtige tut und nicht mit dem ausbeuterischen System kooperiert, muss mit der Bestrafung durch das ausbeuterische System rechnen.
Das heute herrschende Geldsystem ist ein Moloch. Das gottgefällige Opfer besteht darin, auf alle Zinsen zu verzichten, Schulden zu erlassen und jede Handlung zu verweigern, die nicht dem friedlichen Zusammenleben der Menschen dient.

Appell an die NATO

Raus aus der Eskalationsspirale!
Für einen Neuanfang im Verhältnis zu Russland!
Schreiben Sie den Status quo fest!
Setzen Sie sich an den Konferenztisch!
Keine weiteren Truppenbewegungen ohne Vorbedingung!
Vereinbaren Sie ein Verhandlungsziel!
Keine weiteren Mitgliedschaften (weder in der NATO noch in der EU)!
Vergessen Sie die "Osterweiterung"!
Akzeptieren Sie ein Kräftegleichgewicht und üben Sie Respekt und Selbstkritik!
Kümmern Sie sich um ehemalige Kindersoldaten und zahlen Sie Entschädigung für begangene Fehler!
Kümmern Sie sich um Abrüstung und einen globalen und gerechten Frieden!

Donnerstag, 16. Dezember 2021

Gretchenfrage 13

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen der Sozialistik und der Demokratistik?

Samstag, 11. Dezember 2021

Pythagoras und die Macht der Zahlen

Nachdem Pythagoras die Welt bereist und von Mystikern und Philosophen gelernt hatte, gründete er eine eigene Schule und lehrte Mathematik. Aus dieser Schulgemeinschaft entwickelte sich ein quasi-religiöser Kult, der auf der Verehrung von Zahlen beruhte. Die Pythagoreer glaubten, dass alle Dinge, ja der ganze Kosmos, aus Zahlen zusammengesetzt sei. Sie machten zum Beispiel die Beobachtung, dass musikalische Harmonien auf numerischen Verhältnissen von Saitenlängen beruhen. Und auch das Denken in Geldeinheiten basiert auf der pythagoräischen Idee, alle Dinge auf Zahlen reduzieren zu können.
Das Problem scheint mir in der Verwechslung von Ursache und Wirkung zu liegen. Pythagoras könnte so gedacht haben: „Zuerst hat Gott die Mathematik geschaffen und danach, beruhend auf den Prinzipien der Mathematik, hat er den Kosmos erschaffen. Wenn der Mensch eines Tages die Prinzipien der Mathematik vollständig erforscht und verstanden hat, kann er Gottes Plan vorausberechnen.“
Ich hingegen denke mir die Dinge so: Zuerst hat Gott den Kosmos geschaffen, aus dem sich der Mensch entwickelt hat. Dieser Mensch hat die Idee der Zahlen und damit die Mathematik entdeckt. Doch diese Mathematik ist weder Abbild noch Ursache von Realität. Die Mathematik ist eine von mehreren möglichen unscharfen Brillen, durch die wir die Realität betrachten können.
Die eigentliche Frage ist doch die: Funktioniert der menschliche Geist nach den physikalischen Gesetzen der Natur? Wenn ja, dann können wir die Vorstellung vom freien Willen in den Müll werfen. Wenn es aber, innerhalb physikalischer Grenzen wie zum Beispiel der Schwerkraft, einen freien menschlichen Willen geben soll, dann frage ich mich, wie es jemals gelingen kann, künftige Ereignisse vorauszuberechnen. Mathematik verschafft – im besten Fall – einen Überblick über Größenverhältnisse. Musik zum Beispiel ist sehr viel mehr als das numerische Verhältnis von Saitenlängen. Die Mathematik bildet die Dinge nur sehr unvollständig ab. Zwei Äpfel plus drei Äpfel sind in der Mathematik fünf Äpfel. Aber was sagt diese Gleichung über die Realität aus? In welchem Zustand befinden sich die fünf Äpfel? Liegen sie in der Nähe von drei satten oder hundert hungrigen Menschen?
Die männlich dominierte Ökonomik ist angetreten, unser Glück zu maximieren, und verwendet dabei immer komplizierter werdende mathematische Modelle. Im Ergebnis bekommen wir einen geplünderten Planeten, Übersättigung auf der einen, Hunger auf der anderen Seite, und einen Finanzsektor, dessen Milliardenbeträge exponentiell wachsen. Das führt zur Frage: Was ist Geld?
Geld ist eine Denkform, die auf dem Denken in Zahlen beruht. Das Denken in Zahlen gilt uns als rational. Im Lateinischen heißt ratio in erster Linie Berechnung. Wir machen heute daraus die Vernunft. Die große Tragik dieser Welt besteht darin zu glauben, alles, was nicht messbar ist, sei unvernünftig. Mit dieser Denkform reden wir nicht nur aneinander vorbei, damit sägen wir auch sehenden Auges an dem Ast, auf dem wir alle sitzen. Das führt zur Frage: Worin besteht die Lösung?
Ich bin zweifach geimpft und lasse mich auch ein drittes Mal impfen. Ich halte diese Entscheidung für vernünftig. Und ich glaube, dass die (meisten der) sogenannten Impfgegner Ängste haben, die ich als Mensch ernst nehmen muss. Eine „Wissenschaft“, die als Hort der Wahrheit auftritt, ist mir suspekt. Einen Herrn Kickl (FPÖ) halte ich für brandgefährlich. Und jetzt kommt es: Meine Lösung besteht darin, dass ich immer auch den eigenen Irrtum für möglich halte.

Freitag, 10. Dezember 2021

Genügsam

Muss ich
groß und wichtig sein
oder darf ich unscheinbar und klein
das Zepter andern überlassen?
 
Kann ich
unscheinbar und klein
mit meinem Weg zufrieden sein
und die Krone großen Häuptern lassen?

Wird
das Große wichtig sein
oder kann das viele Kleine ganz allein
alles Große blass erscheinen lassen?

Sonntag, 5. Dezember 2021

Matt

»Wäre der Neuanfang nach dem Verblühen nicht gewiss«, sagt sie leise vor sich hin, gerade so laut, dass er es hören kann, »erschiene die morbide Schönheit trostlos.«
»Ist das ein Zitat?«
Sie lacht. »Ja und nein. Ich zitiere mich selbst.«
»Nicht schlecht«, sagt er.
Sie setzen ihren Spaziergang um den See wortlos fort. Die Novembersonne hat sich mühsam durch den Frühnebel gekämpft. Das Wasser spiegelt ein mattes Licht.
»Die morbide Schönheit ist eine schöne Wortkombination.« Er lässt seinen Blick über den entlaubten Wald schweifen und bleibt kurz stehen, um ein Taschentuch aus der Jackentasche zu fummeln. In seinen Augen haben sich Tränen gebildet. »Ich kenne zufällig ein anderes Zitat zum Begriff Schönheit: Das Schöne ist das Ende des Schreckens – oder so ähnlich.«
Sie haben den See etwa zur Hälfte umrundet. Im Sommer ist hier viel los. Jetzt haben sich nur vereinzelt ein paar Angler eingefunden, die in der Kälte ausharren und geduldig auf den einen oder anderen Fang warten. Andere Spaziergänger sind an diesem Mittwochvormittag nicht unterwegs.
»Wie meinst du die morbide Schönheit?«
Sie lächelt über seine Frage und hängt sich bei ihm ein. »Nun, ich habe dabei ein Bild im Kopf«, erklärt sie. »Ich sehe das müde und kraftlose Lächeln einer alternden Diva.«
»Aha«, sagt er, »interessant!« In seinem Kopf rattern die Gedanken. Die Diva gibt für ihn ein trauriges Bild ab. Er sucht das Tröstende in ihren müden Augen. »Gibt es für die alternde Diva einen Neuanfang?«
Sie erschrickt ein wenig über seine Frage. Muss sie ihm einen Ausweg anbieten? Kann sie Hoffnung und Zuversicht versprühen? Glaubt sie selbst an einen Neuanfang? »Wenn wir im Tod nicht das Ende sehen, sondern den Neuanfang für etwas gänzlich Unbekanntes, dann muss keine Situation trostlos sein.«
Tja, wenn man an eine Fortsetzung nach dem Tod glauben kann, muss das Altern nicht trostlos sein. »Ja, du hast recht«, sagt er. »Die Schönheit steht und fällt mit dem Glauben.«
»Aha«, sagt sie, »das verstehe ich jetzt nicht ganz.«
»Was ich sagen will: Mit der Freude auf das, was kommen wird, auch wenn ich nicht weiß, was das ist, verliert der Tod seinen Schrecken. Und mit der Freude auf das, was kommen wird, entsteht der Sinn für das Schöne.«
Sie ist erleichtert. Nun hat er sich die Antwort auf seine Frage selbst gegeben.
Auf der letzten Geraden, kurz vor dem Parkplatz, hat sie dann noch eine Idee, die sie sogleich ausspricht: »Eigentlich geht es darum, die Angst vor dem Unbekannten zu besiegen. Wie beim Schach: Schach matt.
«