»Weißt du, was dein Problem ist?«
Die beiden Freunde waren seit einer knappen Stunde unterwegs. Es hätte nur eine kleine Runde um die Siedlung werden sollen. Aber dann ist es zu einem Abstecher in den Wald gekommen und jetzt waren Kurt und Jonas von Bäumen und Vogelgezwitscher umgeben.»Nein, sag du´s mir.«
Jonas lächelte. Er blieb stehen und drehte sich zu Kurt. »Du blockierst dich selbst.«
Kurt ließ das erst mal sacken. Ja klar, Jonas hatte recht, das Problem war er selbst. Aber was ändert diese Erkenntnis? »Und wie höre ich auf, mich selbst zu blockieren?«
»Gute Frage« gab Jonas zurück und setzte sich wieder in Bewegung.
Eine Weile lang gingen sie schweigend nebeneinanderher.
»Und?«, fragte Kurt, »hast du eine Antwort?«
»Nicht direkt«, sagte Jonas, »aber vielleicht habe ich eine andere Frage, die dir weiterhilft.«
»Nämlich?«
»Du könntest dich fragen, wie du dich blockierst.«
Darüber dachte Kurt ein paar Schritte lang nach. »Wollen wir oben bei der Bank eine Pause machen?« hörte er Jonas sagen und nickte.
Bei der Bank angekommen, nahm Kurt den Faden wieder auf. »Du wolltest wissen, wie ich mich blockiere. Nun, im Wesentlichen passiert es dann, wenn ich mich überfordere. Wenn der innere Druck zu groß wird. Wenn das, was ich tu und kann, niemals genug ist. Ich weiß, woher das kommt. Aber es passiert mir trotzdem immer wieder. Und jetzt, da mir das bewusst ist, nimmt der Druck nicht ab. Das Gefühl der Überforderung bleibt. Es ist, als ob es in meinen Genen festgeschrieben wäre.«
Jetzt ist es Jonas, der leise vor sich hin nickt. Er beginnt zu verstehen, was in seinem Freund vorgeht.
»Das glaube ich nicht.«
»Was glaubst du nicht?«
»Ich glaube nicht, dass die Selbstüberforderung in deinen Genen festgeschrieben ist.«
»Okay, und was glaubst du dann?«
»Wenn etwas in deinen Genen festgeschrieben ist, dann ist es die fehlende Dankbarkeit.«
Diese Bemerkung seines Freundes löst etwas aus in Kurts Gefühlshaushalt. Ihm wird leichter und er atmet ein paar Mal tief aus und ein. Er stellt fest, dass ihm die Waldluft guttut. »Ich glaube, dass du recht hast. Ich weiß, wie sich Freude anfühlt. Aber ich kann dir nicht sagen, wie sich Dankbarkeit anfühlt. Kannst du mir sagen, wie sich Dankbarkeit anfühlt?«
»Es ist ganz einfach«, gab Jonas zurück, »Unzufriedenheit ist das halbleere Glas, Dankbarkeit ist das halbvolle Glas.«
Kurt dachte nach. Warum gelingt es ihm so selten, das halbvolle Glas zu sehen? Warum ist er immer so streng mit sich? Warum fehlt ihm die Geduld? Die Antworten auf diese Fragen kannte Kurt bereits. »Das hat mir gut getan. Was du gesagt hast. Der Abstecher in den Wald. Dein Anruf. Ich bin dir wirklich dankbar.«
»Gerne«, sagte Jonas, »dafür sind Freunde da.«
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