Sonntag, 6. Oktober 2024

Was ist Glaube?

Das Symbol ist er
Und Spiegel der Idee
Gehst du achtlos mit ihm um
Verdirbst du die Idee
 
Deshalb brauchst du Riten
Die den Glauben nähren
Die Erde darfst du küssen
Statt sie zu zerstören

Freitag, 4. Oktober 2024

Gretchenfrage X3

Ist Demokratie sozial?
Oder anders gefragt: Kann mensch zur Einsicht gelangen, dass Demokratie keine Herrschaftsform, sondern ein Prinzip alltäglichen Handelns ist, das umso sozialer wird, je besser der und die Einzelne dem eigenen wie dem guten Leben aller dient?

Donnerstag, 3. Oktober 2024

Was tun?

Von welchem Gefühl gehe ich aus, im Hier und Jetzt? Zwei Gefühle sind vorherrschend: Zufriedenheit und Unruhe. Ich bin zufrieden mit dem Leben in meinem Umfeld, aber ich werde unruhig, wenn ich in die Welt hinausblicke.
Wenn ich das Geschehen in der Welt ausblende, stärke ich meine Zufriedenheit. Wenn ich die Stimmen und Bilder der Welt in mein Herz lasse,  geht die Zufriedenheit verloren.
Was tun?
Die Mitte ist das Maß. Ich suche die Zufriedenheit in dem, was ich tue. Und ich vertreibe die Selbstgefälligkeit, indem ich einen Blick in die Welt zulasse. Ich vertreibe die Unruhe, indem ich schreibe. Und ich schütze mich, indem ich die Medien ausblende.
Nicht zu viel und nicht zu wenig - das ist die Richtschnur. Nicht zu viel Arbeit. Nicht zu viel Muße. Arbeit ist kein Selbstzweck. Nur die Arbeit, die dem Frieden dient, dem inneren wie dem äußeren, ist sinnvoll.

Montag, 23. September 2024

Gretchenfrage X2

Ist Europa unverbesserlich?
Oder anders gefragt: Kann mensch zur Einsicht gelangen, dass der Glaube an die Festung Europa die Grundmauer des eigenen Gefängnisses ist?

Mittwoch, 11. September 2024

Krieger des Lichts

Wir sind Krieger des Lichts
Unsere Waffe ist das Wort
Mit Wohlwollen & Empathie
Besiegen wir Missgunst/Neid
 
Mit Forschung & Toleranz
Besiegen wir Dummheit/Ignoranz
Mit Wahrhaftigkeit & Mut
Besiegen wir Lüge/Heuchelei
 
Mit Zuversicht & Geduld
Besiegen wir Unwohlsein/Stress
Mit Bescheidenheit & Humor
Besiegen wir Gier/Angst
 
Wir sind Krieger des Lichts
Unsere Waffe ist das Wort
Mit Wohlwollen & Humor
Besiegen wir die Angst in uns

Freitag, 30. August 2024

Mäßigung

Gierig ist,
was mehr als gut ist;
gut sein lassen ist,
was nicht zu viel ist.
 
Maß zu spüren, wird
zur Lebenskunst;
sich ans Göttliche verlieren,
nennt man Leidenschaft.
 
Gottgeneigtes Leben ist:
Lieben, Lachen, Heilen,
sich und was den andern ist,
miteinander Teilen.

Freitag, 9. August 2024

Kaspar Hauser

DASS AfD Lügen auftischt
halb Deutschland sieht das nicht
DASS AfD Anstand verwischt
halb Deutschland empfindet nicht

Ein anderer Schrecken ist möglich

Ein Gott
Kein Staat
Kalifat*innen

Donnerstag, 8. August 2024

Gretchenfrage X1

Ist Kapitalismus bestechlich?
Oder anders gefragt: Kann mensch zur Einsicht gelangen, dass der Glaube an das Geld als ein Ding, dem ein Wert an sich innewohnt, auf einem fundamentalen Denkfehler beruht?

Montag, 5. August 2024

Modell vom 5-fachen Schriftsinn

Ebene 1: Was lese ich?
Ebene 2: Was glaube ich?
Ebene 3: Was glaube ich tun zu sollen?
Ebene 4: Was glaube ich hoffen zu dürfen?
Ebene 5: Was glaube ich empfangen zu haben?

Samstag, 3. August 2024

Antwort an den Buddhisten Brodbeck

Gott ist ein Du in mir.
Ich mit Gott in mir ≠ Ich ohne Gott in mir
Was ist ein »Ich ohne Gott«?
Ohne Gott mag ich »Ich« nicht denken.
Ich denke, fühle, atme durch Gott.
Gott ist die erste Ursache von allem,
nichts würde ohne Gott existieren.
Über die Eigenschaften von Gott kann ich nichts sagen,
aber ich kann etwas über Gott in mir sagen:
Gott ist mir logisch-empirisch-sinnliche Wahrnehmung.
Der Satz »Gott ist Fiktion« spricht eine halbe Wahrheit aus.
Die andere Hälfte lautet: »Welt ohne Gott ist Fiktion.«
Gott wirkt auch durch menschliches Denken und Handeln.
Und wenn mein Glaube eine Täuschung sein sollte,
so mindert er dennoch mein Leiden.

Sonntag, 21. Juli 2024

Versuch über die Frage »Wie fühlt sich Zufriedenheit an?«

Zufriedenheit macht sicher, ruhig, zuversichtlich, entspannt, geduldig, gelassen, souverän, überzeugend, arbeits-, liebes- und genussfähig. Zufriedenheit fühlt sich gesund an. Die Frage »Wie erlange ich Zufriedenheit?« wird irrelevant. Ich fühle vielmehr Dankbarkeit dafür, dass ich zufrieden bin. Aber wem gegenüber bin ich dankbar? Ist die Zufriedenheit mein Verdienst?
Ich habe die Welt nicht gemacht. Ohne die Welt gäbe es weder das Wort noch das Gefühl »Zufriedenheit«. Wir nennen das, worauf die Welt aufbaut, wahlweise Gott oder Urknall oder Naturgesetz oder Singularität, um nur einige zu nennen. Meine Zufriedenheit hängt in letzter Konsequenz von dem ab, worauf alles aufbaut.
Wenn ich Zufriedenheit und Dankbarkeit tief empfinden will, brauche ich ein Außen, das vor allem anderen da war. Ich brauche die Vorstellung von der Existenz einer wohlwollenden Schöpfermacht. Meine Empfindungen genügen mir als Beweis dafür, dass diese Vorstellung gut und sinnvoll ist.
Und wenn ich nicht zufrieden bin? Wenn ich unzufrieden bin, gewinnt die Frage »Wie erlange ich Zufriedenheit?« wieder an Bedeutung. Die Frage selbst weist mir den Weg. Es gibt keine bessere Antwort als die, den Weg der Frage zu beschreiten. Diesen Weg kann ich nur beschreiten, weil es eine Welt gibt, die mir von außen gegeben ist. Zufriedenheit fühlt sich so oder so wie der Sinn des Lebens an.

Montag, 1. Juli 2024

Facetten des Aufbruchs

»Wir haben uns in einem Bürgerrat kennen gelernt. Das muss 2032 gewesen sein.« Die alte Frau nimmt einen Schluck Kaffee aus ihrer Tasse. »Damals war ich 29, und Simon war 27. Solche Räte gab es ja schon vor der Großen Katastrophe, aber damals hatte die Politik deren Empfehlungen im Großen und Ganzen ignoriert. Das sind noch Alibiveranstaltungen gewesen. Wir aber – es stimmt doch, Simon, dass es 32 war? – konnten unsere Beschlüsse weitgehend durchbringen. Es ging damals um den deutschen Beitrag zur Schaffung der Internationalen Polizei IPO, die die nationalen Armeen in den Folgejahren ersetzt hat.«
Priska checkt, ob das Transkriptionsprogramm arbeitet. Sie kann fast in Echtzeit mitlesen, was ihre Großmutter sagt. »War es Liebe auf den ersten Blick?«, fragt sie und findet die Frage sogleich etwas naiv.
Antonia lacht. »Nein, wirklich nicht. Also zumindest nicht von meiner Seite. Aber frag Simon, wie es für ihn war.«
Priska wendet sich ihrem Großvater zu, ohne die Frage zu wiederholen.
»Also ich fand deine Großmutter von Anfang an sehr attraktiv«, sagt der alte Mann mit ernster Miene, »aber wir waren politisch halt sehr weit auseinander.«
»Aha, das interessiert mich«, frohlockt die 17-jährige Enkelin, »wie war denn deine politische Einstellung?«
Simon zögert. Sein Blick wandert von der Esstischlampe zu einem der Wohnzimmerfenster und wieder zurück.
Antonia springt für ihn ein. »Weißt du, Priska, das waren wirre Jahre, von 2027 bis 2030, der Atomunfall in Tricastin, die verheerende Heuschreckenplage, die Ernteausfälle, die Hungersnot, die vielen Flüchtlinge, das kann ich dir gar nicht alles beschreiben, die politischen Unruhen und Plünderungen, die vielen Kleinkriege und der ständig drohende große Atomkrieg. Eine schreckliche Zeit. Zur Ruhe kamen die Dinge erst mit der Großen Internationalen Konferenz in Rom im Februar 2030. Die Weltbevölkerung war in den Jahren davor um zwei Drittel geschrumpft.«
»Aber Oma, das weiß ich doch alles«, protestiert Priska, »mich interessiert eure ganz persönliche Geschichte! Das andere kann ich überall nachlesen.«
»Sie ist dir sehr ähnlich«, bemerkt Simon in Antonias Richtung.
Priska tut, als hätte sie das nicht gehört. »Also Opa, wie war deine politische Einstellung?«
Simon schaut verlegen zu Antonia.
Diese dreht den Kopf zu Seite.
Er reibt sich die Hände und überlegt eine Spur zu lange, wie Priska beobachten kann.
Dann legt er endlich los: »Um ehrlich zu sein, ich habe damals nicht an die Demokratie geglaubt. Schon die Zeit vor 2027 hat doch gezeigt, dass das ewige Gerede zu nichts führt. Ich wollte, dass man den Menschen straffe Zügel anlegt. Ja, ich war überzeugter Anhänger der Autokratischen Bewegung.«
»Und was hat diese Bewegung gemacht?« Priska kann spüren, dass ihre Frage einen wunden Punkt berührt.
Nun schaut der Großvater verlegen zu Boden.
»Vielleicht ist das die falsche Frage«, mischt sich Antonia ein, »vielleicht solltest du fragen, wie ich ihn überzeugt habe.«
»Du hast mich nicht überzeugt!« fährt Simon dazwischen. »Ich habe meine Einstellung – nun ja, den veränderten Umständen angepasst. Wenn wir uns damals durchgesetzt hätten, noch vor dem Atomunfall, dann hätten wir diese verheerende Massenflucht verhindern können. Dann wäre – zumindest in Europa – der Schaden nicht dermaßen groß gewesen.«
Priska und Antonia schweigen betreten.
»Verzeih, Priska, aber du verstehst so vieles nicht …«
»So ein Schwachsinn«, schnauzt ihn Antonia an, »Priska versteht die Dinge besser als du! Schau dir doch die Zeit des Aufbruchs an! Wer hat die Welt denn so hingestellt, wie sie heute ist? Wir können froh sein, dass ihr euch nicht durchgesetzt habt! Eure Bewegung hätte uns alle zu Sklaven gemacht!«
Es entsteht eine Pause. Priska checkt ihr Aufnahmegerät. Antonia atmet tief durch, um sich zu beruhigen. Und Simon fixiert das Muster des Teppichs.
»Ich würde gerne mehr über die Zeit des Aufbruchs erfahren. Was hast du da gemacht, Antonia?«
»Ich kann mich noch erinnern, als es geheißen hat, die Generalsekretärin der neu gegründeten United Earth ist eine Frau. Die Vorgängerin UNO hatte ja ausschließlich Männer an der Spitze gehabt. Aber dann war da plötzlich diese stolze Afrikanerin mit dem strengen Gesichtsausdruck. Plötzlich hatte eine wahre Autorität das Sagen. Und die United Earth war ja von Anfang an mit Kompetenzen und Durchgriffsrechten ausgestattet. Da gebe ich Simon recht, die so genannten Resolutionen der UNO haben nichts bewirkt.«
»Wo warst du, als Morkor Nkwesi ihre erste Ansprache hielt?«
»Ich lebte damals etwas außerhalb von München. Aber als die Ansprache übertragen wurde, war ich gerade bei einer Fahrraddemo in der Münchner Innenstadt. Neben mir fuhr so ein Typ mit Rastalocken, der sein Radio laut aufgedreht hatte. Ich erinnere mich noch, dass eine Passantin auf uns gezeigt und zu ihrem Kind gesagt hat: ›Das sind die, die sich kein Deo leisten können.‹«
»Was ist ein Deo?«, fragt Priska.
»Ein Deodorant. Irgendein chemisches Zeug, das man sich früher unter die Achseln gesprüht hat, um nicht nach sich selbst zu riechen.«
»Aha. Und kannst du dich noch erinnern, was genau die neue Generalsekretärin von United Earth gesagt hat?«
»Nein, im Detail weiß ich das nicht mehr. Ich weiß nur, dass eine Welle der Erleichterung durch die Bevölkerung ging. Nicht nur in Europa. Auch im Globalen Süden, vor allem in Afrika.«
»Ich kann mich noch erinnern, was sie gesagt hat«, meldet sich Simon zu Wort. »Sie hat Friedensverhandlungen angekündigt. Und sie hat von Anfang an die Ziele der Verhandlungen festgelegt. Alle UE-Mitgliedsstaaten haben ihr Papier unterzeichnet. Ich weiß noch, dass sie es vor allem auf die Produktion und den Transport von Waffen und Munition abgesehen hat. Und, so viel ich mich erinnere, wurde auf ihre Initiative hin jeder Krieg als völkerrechtswidrig gebrandmarkt, egal ob er als Angriffs- oder Verteidigungskrieg oder was auch immer bezeichnet wird. Unter ihrer Führung wurde auch der Begriff ›Terror‹ klar definiert und die Schaffung der IPO eingeleitet. Und da haben wir uns ja kennen gelernt, deine Großmutter und ich.«
»Stimmt. Ich erinnere mich«, übernimmt Antonia das Wort, »wir waren in einer Arbeitsgruppe, die das Attentat von 2016 in München evaluieren sollte. Damals sind wir, Simon und ich, das erste Mal so richtig aneinandergeraten.«
»Warum?«
»Das soll dir Simon erklären«, gibt Antonia den Ball weiter.
»Warum, Opa, habt ihr gestritten?«
»Gestritten. Ja, das ist das richtige Wort! Ich war der Meinung, dass jeder Terrorakt ein politisches Motiv hat. So gesehen waren die Attentate der RAF in den 1970er Jahren nichts anderes als der Anschlag, den wir evaluieren sollten. Doch Antonia maß mit zweierlei Maß. Für sie war linker Terror nicht das Gleiche wie rechter Terror …«
»Falsch!«, protestiert Antonia. »Terror ist Terror. Der eine ist nicht besser als der andere. Ich habe lediglich die politische Haltung kritisiert, die hinter dem Attentat von 2016 stand.«
»Das habe ich anders in Erinnerung«, murrt Simon.
»Und was war das Ergebnis eurer Arbeitsgruppe?«
»Wir waren insgesamt sieben Personen. Neben deinem Großvater und mir waren da ein pensionierter Richter, eine Architektin, ein Elektriker, eine Biologiestudentin und – weißt du noch, wer die siebente Person war?«
»Das war doch dieser Flüchtling aus Syrien, der kaum Deutsch konnte.«
»Ach ja, stimmt, Omar. Der kam noch vor der Großen Katastrophe als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland. Da tobte in Syrien schon der Krieg. Was aus diesem Omar wohl geworden ist?«
»Und zu welchem Schluss seid ihr gekommen?«
»Irgendwo am Dachboden muss es einen Ordner geben, wo ich alle Papiere von damals aufgehoben habe. Ich erinnere mich, dass der Ex-Richter sehr viel geredet hat. Und kaum jemand hat ihm widersprochen. Seine politische Einstellung weiß ich nicht mehr«, gesteht Antonia.
»Und du, Opa?«
»Dieser Richter war ein Klugscheißer. Nur weil ich mich in der Materie auskenne, muss ich die anderen nicht behandeln wie kleine Kinder. Mir war der Typ unsympathisch.«
»Hm, dieser Ordner würde mich interessieren«, sinniert Priska.
»Ich glaube, den Ordner nimmst du zu wichtig«, sagt Antonia. »Diese Räte gab es ja nicht nur in Bayern, die gab es in ganz Deutschland, überall in Europa und auf der ganzen Welt. Wir waren vielleicht ein Rat unter Tausenden.«
»Trotzdem, mich interessiert, zu welchen Ergebnissen ihr beide gekommen seid.«
»Wir haben 2035 geheiratet«, lacht Antonia, »und noch davor kam deine Mutter zur Welt.«

Nach einem gemeinsamen Mittagessen zieht sich Simon zu einem Nickerchen zurück und die beiden Frauen machen einen Spaziergang. Priskas Großeltern wohnen in einem alten Fachwerkhaus auf dem Dorf im Nürnberger Land. Nach wenigen Gehminuten befinden sich die alte Frau und ihre Enkelin im Wald.
Antonia fragt: »Wozu brauchst du dieses Interview eigentlich?«
»United Earth hat einen Schreibwettbewerb ausgerufen. Das Thema lautet: ›Facetten des Aufbruchs‹. Die Aufgabe besteht darin, Berichte von Zeitzeug*innen festzuhalten. Du weißt schon, von der Konferenz in Rom 2030 bis zur Einführung des Bancors sieben Jahre später.«
Antonia bleibt stehen. »Ach ja, ich erinnere mich. Die Währungsumstellung. Wir haben damals gar nicht verstanden, welche Konsequenzen das haben würde. Ja, das war eine spannende Zeit. Aber ehrlich gesagt, wir waren eine junge Familie, und um die große Weltpolitik habe ich mich damals wenig gekümmert. Man hat nur gespürt, dass die Menschen neue Hoffnung hatten.«
Die beiden Frauen setzen sich wieder in Bewegung.
»Und außerdem«, ergänzt Priska, »bin ich nächstes Jahr zum ersten Mal steuerpflichtig. Da möchte ich meinen Text einreichen. Zwei Fliegen mit einem Schlag, verstehst du?«
»Das geht?«, zeigt sich Antonia erstaunt.
»Na ja, es kann sein, dass ich den Text etwas erweitern muss. Aber ich denke, die Steuerbehörde toleriert das. Zumal das ja mein erster eigener Beitrag fürs Gemeinwohl sein wird.«
»Ich kann mich noch erinnern«, erzählt Antonia, »dass wir unsere Steuerschuld mit Geld begleichen mussten. Einen Teil unseres Einkommens hat der Staat einfach kassiert.«
Priska schüttelt ungläubig den Kopf. »Und? Das habt ihr euch gefallen lassen?«
»Da konntest du nichts machen. Wenn du deine Steuer nicht gezahlt hast, warst du Steuerhinterzieher und wurdest streng bestraft. Nur die Superreichen hatten die Möglichkeit, ihr Geld irgendwo zu verstecken.«
»Das ist ja total ungerecht!«
»Ich weiß«, bestätigt die alte Frau, »deshalb musste dieses System ja irgendwann zusammenbrechen.«
»Wir haben in der Schule gelernt, dass es im Zuge der Einführung des Bancors auch eine Reform des Finanzsystems gegeben hat. Seitdem holt sich der deutsche Staat das benötigte Geld bei der Notenbank und die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich sorgt für ausgeglichene Bilanzen. Aber ehrlich gesagt, so richtig verstehe ich den Unterschied zu früher nicht.«
Antonia verlangsamt ihren Schritt. Sie ist jetzt doch schon 74, fit für ihr Alter, aber nicht mehr fit genug, um mit dem Tempo ihrer Enkelin mitzuhalten.
»Da oben, nach der Kurve, kommt eine Bank. Dort würde ich gerne eine Pause machen. Vielleicht kann ich dir etwas erklären.«
Bis zu der Bank gehen die beiden Frauen schweigend nebeneinanderher. Priska kann einen Specht hören und schaut zu ihrer Großmutter. Doch diese beachtet das Hämmern nicht, scheint stattdessen in Gedanken vertieft zu sein. Antonia ist immer noch schön, denkt Priska. Schöne alte Frauen fallen angenehm auf, findet sie. Sie sind schön dank ihrer Ausstrahlung. Ihr Wesen leuchtet von innen her. So etwas lässt sich nicht herbeischminken.
Bei der Bank angekommen, setzen sich die beiden hin. In diesem Moment kommt die Sonne hervor und Priska fällt die Frage ein, die sie schon die ganze Zeit stellen wollte, aber bis jetzt nicht klar vor Augen hatte.
»Warum hast du dich für Simon entschieden?«
Antonia zögert nicht lange: »Ich wusste, dass du das irgendwann fragen würdest«, lächelt die schöne, alte Frau. »Ich weiß nicht, ob ich das beantworten kann. Ich kann es mir selbst oft nicht erklären. Weißt du, Simon ist kein dummer Mensch. Er kann selbständig denken. Und manchmal revidiert er seine Meinung. Als ich ihn kennenlernte, war er in der rechtsradikalen Bewegung aktiv. Seine Ansichten waren eine Katastrophe! Aber anscheinend habe ich ihm gefallen. Und er hat das Gespräch mit mir gesucht. Ich glaube, er wollte mich für seine Ideen gewinnen. Nun, das ist ihm nicht gelungen. Im Gegenteil. Ich konnte ihn immer wieder verunsichern. Das hat mir irgendwie gefallen. Tja, und irgendwann hatten wir Sex miteinander.«
»Für mich ist das ein Glück, Oma«, wirft Priska ein, »sonst wäre ich nicht auf der Welt.«
»Da hast du recht«, lacht Antonia und legt den Arm um die junge Frau, die für ihr Gefühl gerade erst ein Kleinkind war. »Aber eigentlich wollte ich dir etwas anderes erklären.«
»Ja, bitte. Ich höre.«
»Diese Sache mit dem Geldsystem. Ich glaube, das ist wichtig. Aber ich weiß nicht, ob ich alles richtig verstehe. Vielleicht solltest du jemanden fragen, der sich gut damit auskennt. Die Freundin eines Ex-Kollegen ist Ökonomin. Sie könnte dir sicher besser erklären, wie dieses System früher funktioniert hat. Und vor allem, warum man so lange nicht begriffen hat, dass es in die Katastrophe führen musste. Ich meine – stell dir das vor! – noch um 2025 herum war das oberste wirtschaftspolitische Ziel: Wachstum, Wachstum und noch einmal Wachstum!«
»Irre.«
»Manchmal denke ich mir, diesen Atomunfall in Südfrankreich und die Verwüstungen durch die mutierten Heuschrecken hätte es gar nicht gebraucht - andererseits: Vielleicht war alles auch Bestimmung.«
»Bestimmung? Wie meinst du das, Omi?«
»Es gibt da ein Zitat aus dem Buch des Propheten Jesaja, das lautet: ›Er thront über dem Erdkreis, und die darauf wohnen, sind wie Heuschrecken‹ - oder so ähnlich - das war damals in aller Munde. Viele haben geglaubt, Gott mache sich ans Werk, die Gier des Menschen zu bestrafen.«
»Und du? Hast du das auch geglaubt?«
»Also, wenn du mich fragst, Priska, ich glaube, dass es mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als wir Menschen uns vorstellen können. Ich kann nicht glauben, dass das, was wir kennen, alles ist, was es gibt.«
»Na ja, aber deshalb muss noch nicht stimmen, was die Bibel prophezeit«, wendet Priska ein.
»Weißt du, es gibt so etwas wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Wenn viele Menschen ein bestimmtes Ereignis erwarten, dann wird dieses Ereignis auch wahrscheinlicher.«
»Stimmt«, gibt Priska zu, »davon habe ich schon gehört. Aber nur weil viele Menschen an Gott glauben, bedeutet das nicht, dass es diesen Gott wirklich gibt.«
»Da hast du wohl recht. Aber auf der anderen Seite ist es auch so: Wenn ich an Gott glaube, ist es letztlich egal, ob es diesen Gott gibt oder nicht. Es gibt ihn für mich, weil ich an ihn glaube. Das Geld funktioniert auch nur deshalb, weil die Menschen mehrheitlich an den Wert des Geldes glauben.«
»Interessanter Vergleich«, gibt Priska zu. »Geld gibt es, weil es Schulden gibt. Ohne Schulden kein Geld. Gott könnte es geben, weil es Gläubige gibt. Ohne Gläubige kein Gott?«
»Dann bleibt aber immer noch die Frage«, gibt Antonia zu bedenken, »woher alles kommt. Das Universum. Die Natur. Du und ich. Wie ist das alles entstanden? Und wozu?«
»Keine Ahnung«, lacht Priska, »muss ich das wissen?«
»Nein, wissen musst du das nicht. Du kannst das gar nicht wissen. Aber mir hilft der Gedanke, dass es einen Gott gibt. Ohne diesen Gedanken hätte ich Angst.«
»Interessant«, meint Priska, »neulich habe ich gelesen, dass der Grund für die Gier des Menschen seine Angst war, und zwar die Angst, nicht genug zu bekommen. Die Menschen waren einfach krank!«
Antonia lächelt. Sie ist froh, dass sie eine so schlaue Enkelin hat.
»Wollen wir weitergehen?«
»Eine Frage noch«, sagt Priska schnell: »Wie haben die Menschen es geschafft, ihre Angst zu besiegen?«
»Medikamente«, sagt Antonia und erhebt sich von der Bank. »Manche behaupten auch, dass es Drogen waren, aber das ist Ansichtssache. Man hat das Zeug vermutlich ins Trinkwasser gemischt.«

Als die beiden Frauen von ihrem Spaziergang zurückkommen, liegt auf dem Wohnzimmertisch ein grüner Ordner. Simon hat ihn vom Dachboden geholt. Auf seinem Rücken steht Bürgerrat 2032. Priska überfliegt das Inhaltsverzeichnis, schlägt das Ding zufällig irgendwo auf und beginnt zu lesen:
»Das moderne Geld unterliegt keiner materiellen Schranke. Die Notenbank kann die Geldmenge auf Verlangen eines Staates beliebig vermehren. Wenn von Knappheit die Rede ist, kann nur die Begrenztheit der Natur, der Arbeitskraft und der Lebenszeit gemeint sein. Durch die Eigentumsverhältnisse wandelt sich diese Knappheit zu einem ökonomischen Gut. In der Ökonomik wird die Knappheit dazu genutzt, um natürliche Ressourcen als bezahlbare Werte auszudrücken. Doch die Zahl, die in dem Wort bezahlbar steckt, hat keine natürliche Grenze. Auf lange Sicht driften Preise und Werte auseinander. Die neoklassische Vorstellung von der Tendenz der Märkte, einem Gleichgewicht zuzustreben, entbehrt jeder Grundlage. In Wahrheit ist es so, dass die aktive Störung eines Gleichgewichts das Geschäftsmodell einflussreicher Marktteilnehmer bildet, die auf diese Weise die allgemeine Tendenz zur Machtkonzentration verstärken …«
Priska beginnt zu ahnen, wo der Hund begraben liegt. Soll es ihre Aufgabe werden, diesen Dingen genauer auf den Grund zu gehen? Eigentlich wollte sie Kunst machen. Ihre Mutter sagt immer, sie solle sich nicht auf eine Sache beschränken. Nur wer vier oder fünf Interessensgebiete miteinander verbinde, könne wirklich fruchtbar werden. Zum Glück hat sie die Möglichkeit, völlig frei zu entscheiden, was sie tun will. Ein Leben lang. Das war für Antonia und Simon noch nicht so.
Priska bedankt sich höflich für die Zeit, die sie mit ihren Großeltern verbringen durfte. Simon tätschelt ihr die Schulter und sagt mit dem Ton absoluter Gewissheit: »Du bist goldrichtig!«
Das findet sie dann doch nett von ihrem etwas seltsamen Opa. Sie verabschiedet sich, schwingt sich auf ihr Bike und gleitet nach Hause.

Sonntag, 24. März 2024

Riechen

Riechen rundliche Revolutionäre
Indigene Instrumentalistinnen
Ehrliche Eingeweihte
Clowneske Cinderellas
Herzhafte Helfer
Edle Erdlinge eigentlich
Noble Nasen nachhaltiger?

Dienstag, 20. Februar 2024

Fake News

Die UNO-Generalsekretärin trat gestern vor die Weltpresse und gab den Abschluss der laufenden Friedensverhandlungen bekannt.
Sämtliche UNO-Mitgliedsstaaten unterzeichnen kommende Woche ein Papier, das alle militärischen Konflikte mit sofortiger Wirkung einfriert. Jeder Transport von Waffen, Munition oder Kampfeinheiten ist ab sofort untersagt. Die Produktion von militärischem Gerät wird mit sofortiger Wirkung eingestellt. Betroffene Betriebe werden auf die Produktion zugunsten ziviler Infrastruktur umgestellt. In das Völkerrecht wird ein Passus eingefügt, der jeden Krieg ächtet, unabhängig davon, ob er als Angriffskrieg oder Verteidigungskrieg bezeichnet wird. Sämtliche Militärbündnisse werden verboten. Bis zuletzt hat die NATO dieses Verbot bekämpft. Nun wurde vereinbart, dass die NATO als Organisation zwar bestehen bleiben darf, dass ihr aber sämtliche militärischen Befugnisse entzogen werden. Sie erhält dafür den Auftrag, die rechtserhaltende Gewalt innerhalb der NATO-Mitgliedstaaten zu koordinieren.
Die vollständige Entmilitarisierung aller Kampfeinheiten muss bis zum Jahr 2035 – also innerhalb der nächsten 5 Jahre – nachgewiesen werden. Säumige Staaten werden aus dem internationalen Finanzwesen ausgeschlossen. Neu geschaffen wird eine Internationale Polizeieinheit (IPO), die das Monopol der Gewaltausübung besitzt. Der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel obliegt die Zuteilung bzw. Aberkennung von Kreditkontingenten. Im internationalen Zahlungsverkehr wird, einem alten Vorschlag von J. M. Keynes folgend, die neue Währung „Bancor“ eingeführt. In ihrem Abschlussstatement sagte die Generalsekretärin: „Die Menschheit darf sich rühmen, die militärische Gewalt zugunsten der finanziellen Gewalt abgeschafft zu haben.“
Bis zuletzt wurde intensiv darüber verhandelt, wie auf Terroranschläge zu reagieren sei. Schließlich wurde ein Kompromiss erzielt: „Vergeltung“ als Mittel zu Herstellung von Gerechtigkeit wird geächtet. Das Prinzip „Entwaffnung“ steht über dem Prinzip „Liquidierung“. Das heißt, oberstes Ziel der IPO ist nicht das Ausschalten von Terroristen, sondern die Unterbindung von Nachschub. Verschiedene Details sind noch offen. Doch gibt es Konsens darin, dass jeder Konflikt primär durch Verhandlungen zu lösen ist. Das Gewaltmonopol der IPO beschränkt sich auf die Ausübung von rechtserhaltender Gewalt als letztes Mittel.
Kommende Woche will die UNO-Generalsekretärin die Ergebnisse der Verhandlungen über die Neue Internationale Wirtschaftliche Zusammenarbeit (NIWZ/NIEC) präsentieren. Mit Spannung wird auch der Zwischenbericht der Internationalen Klimakommission erwartet, der Ende Mai vorliegen soll.

Samstag, 20. Januar 2024

Dass die Welt sei

Die Welt ist nicht so, wie sie sein sollte;
dennoch will Gott, dass die Welt sei;
auch ist die Welt nicht, wie ich sie wollte;
dennoch will Gott, dass die Welt sei
 
Will nun der Gott, dass ich mich verzehre
nach einer Welt, die noch warten muss?
oder will ich verzagen, weil mich diese Welt
oft ratlos zurücklässt, in Angst und Verdruss?
 
Es gibt keine Lösung als die, die Gott selbst ist,
denn er hat das Licht und die Welt ja gemacht,
die Pflanzen, die Tiere, das Gute, das Böse;
all das hat er sich ausgedacht
 
Die Welt ist auch nicht, wie ich sie sehe;
dennoch will Gott, dass die Welt sei;
in dieser Welt voller Glut und Geheimnis
sei ewig lange nicht alles vorbei

Sonntag, 14. Januar 2024

Morgenappell

Herr, ich will dich spüren
sei in meinem Körper
sei mein Geist und meine Energie
ich will deinen Willen tun
heute, hier, jetzt

Donnerstag, 11. Januar 2024

Über Skandale

Es ist ein Skandal,
dass die obersten zehn Prozent
der Weltbevölkerung über 55 Prozent
des jährlichen Welteinkommens lukrieren,
die unteren 50 Prozent der Bevölkerung hingegen
nicht einmal zehn Prozent dieses Einkommens
 
Es ist ein Skandal,
dass die Schere dieser Ungleichheit
seit Jahrzehnten immer
weiter auseinandergeht
 
Es ist ein Skandal,
dass die Reichsten dieser Welt
ein Heer von Anwälten darauf ansetzen,
die Gesetzgebung weltweit so zu beeinflussen,
dass das Auseinandergehen
der Schere der Ungleichheit
noch beschleunigt wird
 
Es ist ein Skandal,
dass uns gewählte Politiker*innen
dieses korrupte System
als Demokratie verkaufen wollen
 
Es ist ein Skandal,
dass wir dieses korrupte System
als das unsere akzeptieren
und demokratische Kämpfe
einzelner Bevölkerungsgruppen
als Störung empfinden

Dienstag, 9. Januar 2024

Das Mädchen am Fenster

Das Mädchen hält den Brief ihres Liebsten in Händen und weint. Von draußen blendet die Sonne, die Fensterflügel sind weit geöffnet, auf dem Fensterbrett steht eine Tasse Kaffee. Das Mädchen hatte die Sitzbank ans offene Fenster gerückt und das Kuvert aufgerissen. Die wenigen Sätze ihres Liebsten las sie zweimal, ehe sie die Wucht der Enttäuschung spürte. Ihr Liebster kann nicht kommen. Er sitzt fest. Der Krieg sorgt dafür, dass sie getrennt bleiben.
Dieser erbärmliche, sinnlose, grausame Krieg hat ihr schon die beiden Brüder genommen, die Mutter ist aus Kummer gestorben, der Vater lebt zwar, bekommt aber von alldem nichts mehr mit. Die junge Frau pflegt, füttert und wäscht ihn. Sie ist an den Vater gekettet, kann ihn keinen Tag allein lassen. Bis eben hatte sie gehofft, dass ihr Liebster bald heimkäme. Nun ist diese Hoffnung zerplatzt – und die Sonne blendet.
Warum führen Menschen Krieg? Die junge Frau stellt sich diese Frage nicht zum ersten Mal. Sie ist zur Schule gegangen, hatte dort eine engagierte Lehrerin für Geschichte. Von ihr hat sie einiges über die Philosophen gehört, hat erfahren, dass ein alter Grieche einst meinte, Krieg sei der Vater aller Dinge. Die junge Frau zittert vor Wut. Die Luft vibriert in der Hitze. Die Tränen bahnen sich ihren Weg über Wangen, Kinn und Hals.
Was würde Gott sagen? Die junge Frau erinnert sich an die Geschichte von Hiob. Dieser war ein gottesfürchtiger Mann, dem der Teufel alles genommen hat. Erst im größten Leid hat Hiob Gott geschaut – und alles wurde gut. Die junge Frau weiß, was ihr Hiobs Geschichte sagen will. Sie darf sich bei Gott nicht beklagen. Im Gegenteil. Sie muss dankbar sein. Sie muss dankbar sein für die Tränen, die sie weinen darf, für ihren Liebsten, der noch lebt, für ihre tapferen Brüder, die nicht mehr leiden, für ihre leidenschaftliche Mutter, die nicht mehr klagt, für den Vater, der ihr eine Aufgabe gibt, für die schonungslose Sonne.
Die junge Frau nimmt einen Schluck Kaffee. Sie liest den Brief ihres Liebsten ein drittes Mal. Erst jetzt bemerkt sie, dass er nicht unterschrieben hat. Sie hat nicht den geringsten Zweifel daran, dass der Brief von ihm stammt. Das ist seine Handschrift. Aber warum fehlt jede Signatur? Sie kann nicht glauben, dass er zu unterschreiben vergessen hat, sie glaubt, er hat seinen Namen absichtlich weggelassen, aber was will er ihr damit sagen?
Der erbärmliche, sinnlose, grausame Krieg verschwindet aus ihrem Bewusstsein. Sie klammert sich an das Rätsel der fehlenden Unterschrift. Und so wird für die junge Frau aus einem unscheinbaren Detail jene entscheidende Frage, um die sich alles andere zu drehen beginnt.

Freitag, 5. Januar 2024

Ein Brechmittel

Wir leben in einer Gesellschaft,
die vom Leistungswahn infiziert ist:
als gut und tüchtig gilt,
wer höher, schneller, weiter kommt
als der Konkurrent
 
Doch wohin führt die Entwicklung,
die unsere Leistungswilligen
propagieren?
Wir sollen die Produktivität steigern
und kriegstüchtig werden
 
Niemand konnte bisher vorrechnen,
wie sich das auf unserem begrenzten
Planeten ausgehen soll;
die Sprachrohre dieser Gesellschaft lügen,
dass sich die Balken biegen
 
Das Gerede von der Leistung wirkt
wie ein Brechmittel auf mich;
dabei suche ich das Gefühl von
Empathie, Leichtigkeit und Humor;
brave Bürger kaufen Ratgeber zum Thema

Dienstag, 2. Januar 2024

Die Gitarre

Ich habe – so gut es ging – die Gitarre gestimmt und ein bisschen geübt: die Etüden II und III von Fernando Sor. Da habe ich eine Vorstellung davon, wie das klingen soll. Ich höre schlecht, aber ich höre genug, um Fehler zu hören, und kann somit üben.
Es geht um Wiederholung und Geläufigkeit. Es geht nicht um das Ergebnis. Ich werde mit meinem Gitarre-Spiel niemanden mehr beeindrucken können. Die Leistung zählt nicht. Auch nicht bei Peter Frankopan oder Vaters Erzählungen. Es zählt meine Beschäftigung mit Dingen und die Befriedigung, die ich dabei empfinde. Aber woher kommt Befriedigung?
Sie kommt sicher nicht von der Anerkennung, vom Applaus der anderen. Ich muss mir schon selbst auf die Schulter klopfen. Ich habe – trotz Schwerhörigkeit – Gitarre geübt und bin nicht in Not geraten. Ich habe geübt, wie man eben übt: mit einer gewissen Ausdauer, aber ohne Krampf, mit einer gewissen Freude, aber ohne Erwartungsdruck, mit einer gewissen Dankbarkeit, aber ohne Euphorie.
Wenn die Schwerhörigkeit nicht meine Feindin ist, wer dann? Mein Schattenkind war nie gut genug, egal wie sehr es sich auch angestrengt hat. Es konnte nur verlieren. Jede Befriedigung war von vornherein ausgeschlossen. Mein Sonnenkind sagt, du brauchst den Applaus der anderen nicht. Vielmehr brauchen die anderen dein Lachen und deine Genügsamkeit.
Es hat recht: Beim Üben geht es um Genügsamkeit. Schon das bewusste Atmen beim Meditieren zeigt das. Ich kann immer üben, egal was, egal auf welchem Niveau, egal mit welcher Behinderung. Mein Feind war ein Gedankenfehler.