Träume und
Wünsche entführen meine Gedanken in eine schönere Welt. In meinen Träumen bin
ich verliebt, erfolgreich und glücklich. In der Realität sind die Dinge leider
anders. Hochtrabende Wünsche können leicht zu Enttäuschungen führen. Wenn ich
mir die Diskrepanz zwischen Traum und Wirklichkeit vor Augen halte, erscheint
mir mein Leben von Leid geprägt. Ist es deshalb falsch zu träumen? Soll ich
meine Wünsche deshalb vergessen?
Wenn ich in der Früh aufwache und ich habe keine Hoffnungen
für den Tag, dann fällt es mir schwer, das Bett zu verlassen. Ich möchte dann
am liebsten wieder einschlafen und alles vergessen. Im Extremfall möchte ich
überhaupt aufhören zu existieren. Da ich Hoffnungen brauche, brauche ich auch
meine Wünsche und Träume. Wie kann ich aber meine Hoffnungen bewahren, ohne
unter den Enttäuschungen zu leiden?
Die Redewendung
„weniger ist mehr“ liefert mir eine Antwort. In meinen Träumen und Wünschen
will ich hundert Prozent. Wenn ich auf diese hundert Prozent hoffe, dann werde
ich enttäuscht werden. Ich werde leiden, weil sich meine Träume und Wünsche
nicht realisieren lassen. Null Prozent zu hoffen ist nicht motivierend. Was
darf ich also hoffen? Wie stark soll ich an meine eigenen Träume glauben? Von
meiner Therapeutin habe ich eine Antwort bekommen, die mich seither
beschäftigt. Sie meinte, ich könne auf dreißig Prozent hoffen.
Dreißig Prozent?
Was bedeutet das? Nun, dreißig Prozent sind zunächst einmal weniger als die
Hälfte. Das entlastet mich. Hundert Prozent sind bei mir nämlich so viel, dass
mich jeder Glaube an sie von vorneherein blockiert. Auf der anderen Seite sind
dreißig Prozent mehr als die Hälfte von der Hälfte von hundert Prozent. Das ist
nicht nichts. Wenn ich also hergehe und sage, ich schreibe einen Roman, und
wenn ich gleichzeitig sage, dreißig Prozent sind genug, dann liegt die Latte
gerade so hoch, dass ich drüber komme, und außerdem habe ich eine Aufgabe, die
mich morgens aus dem Bett bringt.
Fünfzig Prozent
wären mir zu viel. Mit fünfzig Prozent bekäme ich in der Schule gerade ein
Genügend. Weniger ist mehr. Mit den dreißig Prozent liege ich gerade richtig.
Denn das sind immerhin dreißig Prozent meiner Träume und Wünsche. Das ist mehr als sie mir in der Schule bieten konnten.
Vor ein paar
Tagen habe ich mit einer Freundin telefoniert, die wie ich unter einem hohen
inneren Erwartungsdruck leidet. Ihr habe ich von den dreißig Prozent erzählt.
Sie meinte nur, ihr wären dreißig Prozent zu wenig. Am liebsten wären ihr
hundert Prozent. Da habe ich mir gedacht, dass es gar nicht leicht ist, sich
von den hundert Prozent zu trennen. Genau deshalb reizt mich die Sache. Wenn
ich hundert Prozent gewollt hätte, hätte ich diesen Artikel nie geschrieben.
Weil dreißig Prozent genügen sollen, bin ich bis hierher gekommen. Meine Freundin
klagt inzwischen weiterhin über großen inneren Druck und darüber, dass sie ihr
Leben nicht so leben kann, wie sie es eigentlich möchte.
Bei mir bemerke
ich folgendes: Seitdem ich mir nur mehr dreißig Prozent meiner Wünsche erhoffe,
habe ich wieder mehr Mut zum Träumen.
ich mag die idee von den 30%.
AntwortenLöschenes heißt nicht, keine anforderungen an mich zu haben, sondern die selbst gesetzten ziele nicht unerreichbar in diffuser ferne entschwinden zu sehen. der mensch sieht, fühlt sich dann ja auch 'gerne' schlecht, unnütz, unfähig. tatsächlich kann ich dieses x% ziel stück für stück erreichen. und möglicherweise auch mehr. darüber hinaus. oder auch nicht. kein problem. und dann der nächste schritt. das nächste ziel. usw...