Samstag, 11. Dezember 2021

Pythagoras und die Macht der Zahlen

Nachdem Pythagoras die Welt bereist und von Mystikern und Philosophen gelernt hatte, gründete er eine eigene Schule und lehrte Mathematik. Aus dieser Schulgemeinschaft entwickelte sich ein quasi-religiöser Kult, der auf der Verehrung von Zahlen beruhte. Die Pythagoreer glaubten, dass alle Dinge, ja der ganze Kosmos, aus Zahlen zusammengesetzt sei. Sie machten zum Beispiel die Beobachtung, dass musikalische Harmonien auf numerischen Verhältnissen von Saitenlängen beruhen. Und auch das Denken in Geldeinheiten basiert auf der pythagoräischen Idee, alle Dinge auf Zahlen reduzieren zu können.
Das Problem scheint mir in der Verwechslung von Ursache und Wirkung zu liegen. Pythagoras könnte so gedacht haben: „Zuerst hat Gott die Mathematik geschaffen und danach, beruhend auf den Prinzipien der Mathematik, hat er den Kosmos erschaffen. Wenn der Mensch eines Tages die Prinzipien der Mathematik vollständig erforscht und verstanden hat, kann er Gottes Plan vorausberechnen.“
Ich hingegen denke mir die Dinge so: Zuerst hat Gott den Kosmos geschaffen, aus dem sich der Mensch entwickelt hat. Dieser Mensch hat die Idee der Zahlen und damit die Mathematik entdeckt. Doch diese Mathematik ist weder Abbild noch Ursache von Realität. Die Mathematik ist eine von mehreren möglichen unscharfen Brillen, durch die wir die Realität betrachten können.
Die eigentliche Frage ist doch die: Funktioniert der menschliche Geist nach den physikalischen Gesetzen der Natur? Wenn ja, dann können wir die Vorstellung vom freien Willen in den Müll werfen. Wenn es aber, innerhalb physikalischer Grenzen wie zum Beispiel der Schwerkraft, einen freien menschlichen Willen geben soll, dann frage ich mich, wie es jemals gelingen kann, künftige Ereignisse vorauszuberechnen. Mathematik verschafft – im besten Fall – einen Überblick über Größenverhältnisse. Musik zum Beispiel ist sehr viel mehr als das numerische Verhältnis von Saitenlängen. Die Mathematik bildet die Dinge nur sehr unvollständig ab. Zwei Äpfel plus drei Äpfel sind in der Mathematik fünf Äpfel. Aber was sagt diese Gleichung über die Realität aus? In welchem Zustand befinden sich die fünf Äpfel? Liegen sie in der Nähe von drei satten oder hundert hungrigen Menschen?
Die männlich dominierte Ökonomik ist angetreten, unser Glück zu maximieren, und verwendet dabei immer komplizierter werdende mathematische Modelle. Im Ergebnis bekommen wir einen geplünderten Planeten, Übersättigung auf der einen, Hunger auf der anderen Seite, und einen Finanzsektor, dessen Milliardenbeträge exponentiell wachsen. Das führt zur Frage: Was ist Geld?
Geld ist eine Denkform, die auf dem Denken in Zahlen beruht. Das Denken in Zahlen gilt uns als rational. Im Lateinischen heißt ratio in erster Linie Berechnung. Wir machen heute daraus die Vernunft. Die große Tragik dieser Welt besteht darin zu glauben, alles, was nicht messbar ist, sei unvernünftig. Mit dieser Denkform reden wir nicht nur aneinander vorbei, damit sägen wir auch sehenden Auges an dem Ast, auf dem wir alle sitzen. Das führt zur Frage: Worin besteht die Lösung?
Ich bin zweifach geimpft und lasse mich auch ein drittes Mal impfen. Ich halte diese Entscheidung für vernünftig. Und ich glaube, dass die (meisten der) sogenannten Impfgegner Ängste haben, die ich als Mensch ernst nehmen muss. Eine „Wissenschaft“, die als Hort der Wahrheit auftritt, ist mir suspekt. Einen Herrn Kickl (FPÖ) halte ich für brandgefährlich. Und jetzt kommt es: Meine Lösung besteht darin, dass ich immer auch den eigenen Irrtum für möglich halte.

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